Donnerstag, 31. Mär 2022
Flüchtlingshilfe bereitet sich auf grösseren Andrang vor
Einblick Liechtenstein bereitet sich auf die Aufnahme einer grösseren Anzahl an Personen aus der Ukraine vor. Was dabei beachtet werden muss, erklärte Heinz Schaffer, Geschäftsführer der Flüchtlingshilfe, anhand des Ruggeller Vereinshauses.
Normalerweise vom Vereinsleben geprägt, bietet das Ruggeller Vereinshaus seit einigen Wochen Frauen und Kindern aus der Ukraine ein Dach über dem Kopf. «Wir freuen uns, in dieser schwierigen Situation einen kleinen Beitrag leisten zu können», betonte Vorsteherin Maria Kaiser gestern vor den Medien. Sie ist sich aber auch bewusst, dass die Neugier bei vielen Menschen gross ist. Gemeinsam mit Heinz Schaffer, Geschäftsführer der Flüchtlingshilfe, informierte sie daher über die Situation und wie es dazu kam, dass das Vereinshaus neben dem Asylheim zur ersten grösseren Unterbringungsmöglichkeit für ukrainische Flüchtlinge wurde.
Massenlager wohnlicher gestaltet
Um den dort lebenden Familien die nötige Privatsphäre zu lassen, gaben Kaiser-Eberle und Schaffer den Medien draussen vor dem Gebäude einen Einblick ins Innere. Schon beim Bau des Vereinshauses sei an mögliche Krisensituationen gedacht worden. Im Massenlager stehen normalerweise 50 Betten, dieses wurde nun auf die Bedürfnisse der Familien umgebaut und mit weiteren Möbeln etwas wohnlicher gestaltet. In fünf einzelnen Räumen finden insgesamt 26 Personen Platz – seit gestern ist das Vereinshaus voll belegt. Auch eine Küche, sanitäre Anlagen sowie eine Waschküche stehen den geflüchteten Frauen und Kindern dort zur Verfügung. In einem eigenen Personalraum können sich die freiwilligen Helferinnen von Zeitpolster und in der Nacht der Sicherheitsdienst aufhalten. In der Umgebung finden die untergebrachten Familien zudem einen Spielplatz und eine Sportwiese. Die Gemeinde hat die Küche mit den nötigen Utensilien und Grundnahrungsmitteln ausgestattet, zudem stellt sie Büromaterial, Handtücher und Bademäntel zur Verfügung – Firmen hätten die Gemeinde dabei teils unterstützt.
Die Vorsteherin freut sich über die Solidarität in ihrer Gemeinde und von den Vereinen. Da das Gebäude in einen nördlichen und südlichen Teil getrennt ist und zwei verschiedene Eingänge hat, ist ein Vereinsleben mit kleineren Einschränkungen weiterhin möglich. Auch die Spielgruppe kann ihren Betrieb weiterführen.
«Das Vereinshaus Ruggell eignet sich aufgrund der Infrastruktur, aber auch aufgrund der geografischen Lage hervorragend für die Beherbergung von Frauen und Kindern», findet auch Schaffer von der Flüchtlingshilfe, der von einem «Glücksfall» spricht.
Dass der Standort für die Unterbringung ideal ist, hat sich schon früh herauskristallisiert. Das sei nicht in allen Gemeinden so, teils müssten die Unterkünfte zunächst vorbereitet werden. Das Amt für Bau und Infrastruktur prüfe derzeit die Strukturen und «klappere» die vom Land, den Gemeinden oder Privaten angebotenen Liegenschaften ab. Dabei wird abgeklärt, inwiefern sich diese eignen und was für die Unterbringung von Flüchtlingen noch nötig wäre. Bis Mitte April sollte in der alten Schule in Nendeln ein ähnliches Angebot wie das Vereinshaus Ruggell zur Verfügung stehen. Benötigt werden gemäss Schaffer Unterkünfte für einen längerfristigen Zeitraum. Schaffer rechnet damit, dass die Ukrainer je nach Dauer des Krieges 12 bis 18 Monate in Liechtenstein bleiben werden. «Die meisten wollen danach aber wieder in ihre Heimat zurück», so Schaffer.
«Hilfe zur Selbsthilfe»
Grundsätzlich verfolgt Liechtenstein bei der Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen eine genaue Strategie, die sich laut Schaffer bisher bewährt hat. Die Erstaufnahme erfolgt im Asylheim in Vaduz, wo möglichst 30 bis 40 der insgesamt 105 Plätze für Neuankömmlinge zur Verfügung stehen sollen. Dort erhalten die Betroffenen lebensnotwendige Utensilien, Essen, medizinische Versorgung und gegebenenfalls auch psychologische Betreuung. «Manche sind traumatisiert», erinnert Schaffer an die Situation in der Ukraine. Vor ihrer Ankunft in Liechtenstein hätten die Geflüchteten oftmals tagelang in Bunkern Schutz vor dem Krieg gesucht.
Nach etwa ein bis sieben Tagen im Flüchtlingsheim werden die Ukrainer dann in externe Liegenschaften von Land und Gemeinden gebracht. Das können Sammelunterkünfte wie das Vereinshaus Ruggell sein, bei denen der Betreuungsaufwand etwas geringer ist, oder einzelne Wohnungen. Das Credo laute dabei «Hilfe zur Selbsthilfe», die Flüchtlinge sollen also möglichst selbstständig leben können. So sei man derzeit etwa dabei, den Flüchtlingen, die arbeiten wollen und können, eine Stelle zu vermitteln. Einige Firmen hätten bereits aktiv nach Arbeitskräften gesucht.
Eine Herausforderung sei auch die Beschulung der Kinder, die derzeit in Deutsch-Intensivkursen in Balzers unterrichtet werden. Die Schüler aus Ruggell müssen also ans andere Ende von Liechtenstein, wobei sie dabei auf dem Weg von freiwilligen Helfern begleitet werden. Man sei aber auf der Suche nach wohnortsnahen Lösungen, das Schulamt sei sich der Problematik bewusst.
110 Asylsuchende aus der Ukraine
Derzeit betreut die Flüchtlingshilfe 174 Asylsuchende, davon stammen 110 Personen aus der Ukraine. Laufend würden aber neue Menschen Schutz in Liechtenstein suchen. Mit genauen Zahlen ist Schaffer daher vorsichtig, er verweist auf die sich laufend nach oben korrigierenden Prognosen aus der Schweiz. «Wir bereiten uns aber auf eine grössere Anzahl vor», so Schaffer. Ein Beispiel nennt er dann aber doch: Vor dem Krieg in Bosnien seien damals rund 500 Menschen nach Liechtenstein geflüchtet. Die Taskforce Asyl habe sich auf verschiedene Szenarien vorbereitet. «Je nach Ist-Situation müssen wir nun adäquat handeln», so Schaffer. Klar sei aber auch, dass es in dem Sinn keine Obergrenze gibt: Wer in Liechtenstein um Schutz ansucht, bekommt Schutz. «Die Frage ist eher, unter welchen Rahmenbedingungen wir diese Personen dann aufnehmen können», so Schaffer. Bei dieser Gelegenheit hebt er die grosse Solidarität in der Zivilbevölkerung hervor: «Eine solche Herausforderung können wir nur gemeinsam stemmen.»
Sie wollen helfen? Dann melden Sie sich bitte bei der Flüchtlingshilfe per Mail an info@fluechtlingshilfe.li Diese koordiniert die verschiedenen Angebote und meldet sich bei Bedarf.